Heute war ich wieder bei dem gerade erwähnten Ibach-Flügel, der herstellerseitig als „Zwergflügel“ im Katalog (um 1913) stand. Mir sind weitere wahrhaft interessante Details aufgefallen.
Erstens: Die Tastenklappe dieses Flügels ist federleicht. Nur auf Höhe der Scharnieraufhängungen zieht sich dickes Holz von links nach rechts. Der Rest ist aus dünnem schichtverleimtem Bugholz. Das ist super praktisch; denn diese Klappe bleibt wegen des tief liegenden Schwerpunkts stets offen stehen, solange dies gewünscht ist. Es bedarf beherzter Fehlleistungen, die Klappe „versehentlich“ zufallen zu lassen – und selbst wenn sie im Extremfall auf jemandes Finger fällt, tut das wegen des Leichtgewichts nicht ernsthaft weh. Eine genial einfache Alternative zur aktuell üblichen „SoftClose“-Technik!
Zweitens: Der Langsteg, über den die Saiten von der tiefen Mittellage bis zum oberen Diskant laufen, verläuft nur auf Höhe der Saitenführungen in konstruktiv notwendigen Wellenlinien. Auf dem Resonanzboden dagegen hat er eine durchgehende kontinuierliche Linienführung, was im Detail zur gleichmäßigen Klangcharakteristik über alle Tonlagen beiträgt. Eine kluge Lösung.
Drittens: Die drei Übergangstöne mit umsponnenen Saiten diesseits der Bassspreize haben einen winzigen eigenen „Tenorsteg“ bekommen. Das ist heikel, weil es zu klanglichen und stabilitätsmäßigen Ungereimtheiten führen kann – im vorliegenden Fall funktioniert es allerdings sehr gut. Und im Nebeneffekt kann der Hauptsteg so konstruiert sein, dass für die letzten Drahtsaiten die größtmögliche Länge verfügbar ist. Ein durchdachtes Detail für einen sehr kleinen Flügel.
Viertens: Viele der Saiten des kleinen Ibach-Flügels verlaufen sehr schräg. Nun ist es im Klavier-und Flügelbau allgemein üblich, die Hammerköpfe an den Stielen so anzubringen, dass sie annähernd der Saitenlinie folgen. Ibach dagegen hat für seinen Zwergflügel diese Regel anscheinend fast vollständig vernachlässigt (dies sage ich mit Vorbehalt, denn beim vorliegenden Instrument wurden vor Zeiten schon einmal die Hammerköpfe ersetzt); die Hämmer stehen fast parallel nebeneinander, als ob die Mechanik zu einem geradsaitigen Instrument gehören würde. Der Vorteil davon: Zuverlässige Bewegungsabläufe sind mit solchen Hämmern deutlich leichter zu konstruieren. Der Nachteil: Solche Hämmer müssen stets rechtzeitig nachbearbeitet werden, denn sie können schon bei relativ geringem Verschleißgrad die Saiten der Nachbartöne berühren. Aber auch das kann sich letztlich zum Vorteil wenden – sofern das Instrument, der Not gehorchend, besser als andere in Pflege gehalten wird.
Fünftens: Die überkreuzten Tiefbasssaiten verlaufen vor den vorderen Umlenkungen, den sog. „Agraffen“, über ein schienenartiges Zusatzelement, eine sog. „Silie“. Diese Saiten werden also sowohl hinten beim Steg, als auch vorn, je zweimal auf kurzer Distanz hart umgelenkt. Dadurch sind sie optimal gezwungen, ihre Schwingungsenergie wirklich im schwingenden Saitenteil abzugeben, was dem Klang vernehmbar zugute kommt.
Zum Abschluss habe ich noch ein Klangbeispiel aufgenommen. Zu hören sind die besagten Tiefbasssaiten von Kontra-Fis bis Subkontra-A, und jeweils zuvor die zugehörigen Töne eine Oktave höher. Um die erstaunliche Bass-Tonalität dieses Winzlings wahrnehmen zu können, benötigen Sie brauchbare HiFi-Boxen oder Kopfhörer.